Werner Hofmann

„das irdische paradies“ war nicht nur der haupttitel seines 1960 erschienen buches, sondern wurde in der folge geradezu zum geflügelten begriff. als gründungsdirektor des „museums des 20. jahrhunderts“ (1962) prägte Werner Hofmann, wie kein anderer, die museumsszene in wien. ihm ist es zu verdanken, dass sich diese stadt endlich wieder mit zeitgenössischen kunstströmungen auseinandersetzte. pn

Anwalt der Moderne

Porträt des Kunsthistorikers Werner Hofmann

von Beat Wyss (Prof. Beat Wyss lehrt Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe.)

Als Autor wie auch als Museumsdirektor und Ausstellungsmacher, als genauer Beobachter und unverblümter Kommentator hat Werner Hofmann (1928–2013) die Kunstgeschichte der Moderne und Postmoderne stark geprägt.

Die intellektuelle Biografie von Werner Hofmann wiegt schwer: 85 Titel sind im Katalog der Clark Art Library von Williamstown, MA, verzeichnet. Wer hier die Gelegenheit hat, das Lebenswerk des Autors zwischen den Büchergestellen abzuwandern, sollte mindestens einen Tag einplanen, und sei es nur, um jedes einzelne Buch einmal in die Hand zu nehmen. Bei den meisten handelt es sich um alte Bekannte, es sind aber auch Entdeckungen aus Hofmanns Studienzeit in Paris darunter wie «L'œuvre graphique de Georges Braque», um 1959 erschienen bei Clairfontaine, Lausanne: Zeuge einer verschwundenen Kunstbuchkultur mit ganzseitigen Abbildungen, gedruckt mit faksimilierender Sorgfalt. Hier stellt der junge Autor seine Kennerschaft in den Dienst des Kubismus, der im akademischen Kanon der Kunstgeschichte bisher noch kaum eine Rolle gespielt hatte.

Nicht polemisch, aber unverblümt

Hofmanns Bibliografie belegt die Zeitreise durch den Kunstdiskurs von der Nachkriegszeit zur Postmoderne. Das umfangreiche Werk erstaunt umso mehr, als das Schreiben eigentlich nur Beiwerk war, hauptberuflich wirkte Hofmann seit 1962 als Museumsdirektor. Mit der Doppelbegabung als Ausstellungsmacher und Wissenschafter entsprach er der Wiener Schule, deren Vertreter Museums- und Lehrtätigkeit miteinander zu verbinden pflegten. Dass diese Doppelbegabung ausgerechnet in Wien nicht zum Einsatz kam, muss also erstaunen. Es lag wohl am intellektuellen Profil: am Hang zum offenen Wort, unverstellt vom Wiener Schmäh, dessen Tücke sich hinter kakanisch aufgebrezelten Höflichkeitsfloskeln kaschiert. Hofmanns Rede war nicht polemisch, aber unverblümt.

Im Jahr des Anschlusses, 1938, als die Hände der Wiener auf dem Heldenplatz so bereitwillig zum deutschen Gruss hochflogen, war Hofmann zehn Jahre alt, mithin alt genug, sich später daran zu erinnern, dass die schweigende Mehrheit alles so schnell wieder vergessen hatte. Österreichs juste milieu gedachte, die leidige Vergangenheit mit verbohrter Selbstgerechtigkeit auszusitzen. Solcher Haltung gegenüber blieb Hofmann zeitlebens unbequem: 1957 legte sich der damalige Assistent an der Albertina mit Hans Sedlmayr an: Er bezichtigte dessen «Verlust der Mitte», jene berühmt-berüchtigte Abrechnung mit der modernen Kunst, apodiktischer Willkür; die Aburteilung Goyas, Picassos, ja der Avantgarde insgesamt sei ohne transparente Beweisführung gleichsam standrechtlich exekutiert worden. Es war starker Tobak, einen Silberrücken akademischer Kunstgeschichte der Unwissenschaftlichkeit zu bezichtigen. Professor Sedlmayr war zwar wegen Mitgliedschaft bei der NSDAP der Wiener Lehrstuhl aberkannt worden, doch die Universität München setzte ihn bereits 1951 wieder in Amt und Würden.

Werner Hofmann, aus der Serie Ausstellungskataloge, Museum des 20. Jahrhunderts, Wien – Grafik: Georg Schmid Katalog Werner Hofmann – Arnulf Rainer anlässlich der Ausstellung im Museum des 20. Jahrhunderts Wien, 1968 auf dem von Peter Noever initiierten und Walter Pichler entworfenen Aluminiumsessel Galaxy

Noch führten nach dem Krieg kunsthistorische Laufbahnen zügig voran. Die Stadt Wien berief den 44-jährigen Hofmann 1962 zum Gründungsdirektor des Museums des 20. Jahrhunderts, des heutigen Mumok; eine damit verbundene Honorarprofessur verlieh ihm die Universität aber nicht. Die akademische Klasse hatte dem Anwalt der Moderne die klare Stellungnahme gegen Sedlmayr nicht verziehen. Von einem leitenden Posten in der österreichischen Hauptstadt pflegte man damals nur mit den Füssen voran oder als verdienter Pensionär abzutreten. Hofmann zog schon nach sieben Jahren seine Konsequenzen und folgte dem Ruf nach Hamburg als Direktor der Kunsthalle. Ihm war ein Bucherfolg vorangegangen: «Das irdische Paradies, Motive und Ideen des 19. Jahrhunderts» beleuchtete eine Epoche jenseits klassischer Kunstwissenschaft, deren schöne Welt mit der Französischen Revolution unterging. Neu war, dass hier die Zeit von der Romantik zur Belle Epoque aus dem Korsett nationaler Betrachtungsweise befreit wurde: Mit Flaxman und Füssli, von Goya und van Gogh, Manet und Munch bis zu Böcklin und Rodin traten europäische Künstler im imaginären Museum zwischen Buchdeckeln zusammen. Es ging darum, die Geschichte der Moderne umzuschreiben: den Flurschaden faschistischer Kulturpolitik zu beheben, die das romantische Erbe für ihr Blut-und-Boden-Programm abgezweigt hatte. «Das entzweite Jahrhundert» sollte nicht mehr als jenes Ende der guten alten Zeit verstanden werden, sondern als Anfang der Moderne. Das Buch wurde 1961 ins Englische übersetzt und der Autor als Lehrbeauftragter an die University of California in Berkeley eingeladen.

Zum Fanal einer kritischen Repatriierung deutscher Romantik, zwei Jahre nach der Londoner Ausstellung in der Tate Gallery, wurde die Gedächtnisausstellung zum 200. Geburtstag von Caspar David Friedrich in der Hamburger Kunsthalle: ein früher Blockbuster der deutschen Ausstellungsgeschichte. Mit 218 910 Besuchern, für heutige Massstäbe schon wieder bescheiden, brach die Schau in der Hansestadt alle Rekorde. Sollten diese bengalisch angeleuchteten Wolken über einem Kruzifix im Gebirge, sollten diese verloren in verschleierte Ferne blickenden Gestalten jetzt doch wieder Kunst sein? Kaum war der Durchschnittsbürger endlich doch noch zur Abstraktion umerzogen worden, wurde ihm jetzt zugemutet, C. D. Friedrich und Mark Rothko auf einer Stufe zu würdigen. Hofmann verfügte über die moralische Autorität, diesen Schritt zu vermitteln.

Kritische Toleranz

Altersmässig zwischen den Gründern der Frankfurter Schule und den achtundsechziger Rebellen stehend, lag ihm Theodor W. Adorno näher als Rudi Dutschke. Hofmanns Position zeigt sich etwa in seiner Auseinandersetzung mit der Ideologiekritik. Für einen Sammelband bei Suhrkamp hatte er einige Vertreter eingeladen, sich über «Caspar David Friedrich und die Folgen» zu äussern. Unverblümt stellte Hofmann im Vorwort fest, er teile die historisch verkürzten Ansichten nicht; aber es war ihm wichtig, dass die neue Linke in der Kunstgeschichte eine Plattform bekam. Zu seinen Vorbildern in kritischer Toleranz gehörte Voltaire, der seinem jungen Kollegen Helvétius gesagt haben soll, er missbillige zwar seine Meinung, tue aber alles, damit er diese äussern dürfe. Mit «Europa 1789. Aufklärung, Verklärung, Verfall» hat Hofmanns Kunsthalle zum zweihundertsten Jahrestag des Pariser Bastille-Sturms der Ambiguität der Aufklärung eine Tribüne geschaffen.

Bereits zehn Jahre zuvor entstand mit «Courbet in Deutschland», zusammen mit dem Frankfurter Städel, eine Schau, die den Künstler in den zeitgeschichtlichen Kontext stellte. Da Courbet zu den Totemtieren der Ideologiekritik gehörte, schrieb Hofmann ins Stammbuch der Linken: Die Leistung des Künstlers sei nicht danach zu bewerten, dass er einen steineklopfenden Proleten gemalt habe, während die Pariser Commune in die Zerstörung der Vendôme-Säule verwickelt war. Engagierte Kunst beschränkt sich nicht auf das Illustrieren politischen Kampfparolen: Ästhetische Innovation ist ein autonomer Prozess parallel zu gesellschaftlichen Umwälzungen.

Wie kein anderer Museumsdirektor seiner Generation verstand es Werner Hofmann, grosse kulturpolitische Themen zu porträtieren. Die Hamburger Kunsthalle bot Völkerverständigung mit kunsthistorischen Mitteln. Die Courbet-Ausstellung lief unter dem Patronat des französischen und des deutschen Aussenministers, Louis de Guiringaud und Hans Dietrich Genscher. Auf dem Höhepunkt dber Perestroika, 1987, besorgte Hofmann zusammen mit Christoph Stölzl die Ausstellung «Künstler sehen Frieden und Krieg», die nach der Kunsthalle Hamburg und dem Münchner Stadtmuseum in der Staatlichen Gemäldegalerie Moskau und der Eremitage Leningrad gezeigt wurde. Hier war die Mauer schon zwei Jahre früher gefallen, da neben russischen Künstlern auch Vertreterinnen und Vertreter der DDR und der Bundesrepublik gemeinsam ausstellten. – Hofmanns Ausstellungskonzepte gehören in die Zeit vor der radikalen Umstellung auf Gegenwartskunst. Er blieb Kunst-Historiker und Analytiker des Westkunst-Systems, bevor die Globalisierung transkulturelle Themen in den Raum zu stellen begann. Wenn Hofmann sich mit Gegenwartskunst auseinandersetzte, so wies er ihr stets ihren geschichtlichen Ort zu. Vom selben Jahrgang 1928 wie Andy Warhol, tritt Pop-Art in seinem breiten Panorama eher am Rand auf. Spasskultur war seine Sache nicht.

Mit Max Dvorak verstand Hofmann, gut hegelianisch, Kunstgeschichte als Geistesgeschichte. Zugleich aber blieb er unbedingter Kenner, der das einzelne Werk, den einzelnen Künstler nicht über den Kamm einer theoretischen Hypothese geschert haben wollte. Diskursfanatikern aller Couleur entgegnete er stets mit dem Vorbehalt, erst einmal genau hinzuschauen. Damit bleibt in seinem Lebenswerk jener Zwiespalt produktiv, den Julius von Schlosser so formuliert hatte: «Inwiefern lässt sich ein subjektiver Akt ästhetischer Wahrnehmung in den theoretischen Horizont von Geschichte stellen?» Der Satz knüpft an nichts Geringeres als an Kants methodenkritische Frage über die Möglichkeit synthetischer Urteile a priori und lässt sich ganz schlicht ins eigene Fach übersetzen: Wie ist Kunstgeschichte möglich?

Hofmann verband zwei Kunstgeschichten: die Wiener und die Hamburger Schule. Damit hielt er die idiosynkratrische Spannung des Fachs aus: auf der einen Seite jene Nachlassverwalterin abendländisch-katholischen Reichserbes, auf der andern die «heidnisch» antike Ikonologie, entwickelt in einer bürgerlich geprägten Hansestadt, deren jüdische Gründer: Warburg, Wind und Panofsky, ihre Lehre auch erst im Exil ausbauen konnten.

(erschienen in: Neue Zürcher Zeitung, 28. März 2013)