Rebellion im Hühnerstall

Gedanken zu Koen Vanmechelen künstlerischen und kulturtheoretischen Kontext
Peter Noever

Der belgische Ausnahmekünstler, Koen Vanmechelen verwandelt das ehrenwerte Museum in Guangzhou für die Dauer der 4. Triennale in ein vitales Zentrum der Hühnerzucht, in dem sich mittlerweile unter den Augen des kunstsinnigen Publikums die 15. Generation "kosmopoliter Hühner" paart. Entgegen reinrassigen national spezifischen Hühnerzüchtungen kreuzt Vanmechelen dabei Hennen und Hähne unterschiedlicher Herkunft und Nationen. Die Küken der neuen Hühnergenerationen sind also im postkolonial- kreativen Sinne Bastards.

„Ich habe gerade ein Schwein und eine Ziege getötet!" schrieb kürzlich der Erfinder von Facebook, Marc Zuckerberg auf seiner Facebookseite und erklärt seinen medialen Coup mit dem lapidaren Hinweis: „Das einzige Fleisch, das ich von nun an essen werde, wird von Tieren sein, die ich selbst getötet habe.“

Glücklich in einem Haus ließen Carsten Höller und Rosemarie Trockel 100 Tage während der Documenta X (1977) in Kassel Menschen und Schweine in einem Haus zusammenleben. Per Eilverfügung versuchte eine Künstlerin ein gerichtliches Ausstellungsverbot für die (ausgestopfte) Giraffe zu erwirken. Eine Arbeit (The Zoo Story) des Konzeptkünstlers Peter Friedl, der dieses Objekt aus der palästinensischen Westbank in das scheinbar friedliche Kassel anläßlich der Documenta XII transportierte.

David Zink Yi präsentiert auf der diesjährigen Kunstmesse „Art Basel“ den in einer pechschwarzen Lache liegenden, leblosen Körper einer Riesenkrake (Architeuthis): Fleischgewordene menschliche Schuld, aus den Untiefen des Gewissens hochgeschwemmt, so könnte man vermuten.

Die Schweizer Künstlerin Beatrice Stähli stopft Schäferhunde aus und arrangiert sie in einer dreiteiligen Installation unter dem Titel „Die Wiener Sängerknaben“ 1995.

Die Bronzestatue des 1923 geborenen Akita-Hundes Hachiko ist das Denkmal unbeirrbarer Treue, einer der beliebtesten Treffpunkte für Liebende in Tokio. (Jetzt von Lasse Halström mit Richard Gere verfilmt „Hachiko – a dog’s story“.)

All diese Künstler sehen sich als Fürsprecher, Verteidiger, Genossen, Gegenspieler oder Schlächter, jedenfalls in einem Bewusstsein der Macht und Ohnmacht dieser dem Menschen gleichsam andersartigen und verwandten Kreaturen gegenüber. Dabei steht der Künstler metaphorisch für die Rolle des Menschen zwischen Tier und Schöpfer, Opfer und Täter. Simpel, jene Künstler behandeln Probleme der menschlichen Existenz.

Koen Vanmechelen lenkt in seiner Präsentation den Fokus auf das mystische „Red Junglefowl", welches die Mutterhenne aller domestizierten Hühner ist. Tausende Eier wurden gelegt, diese dann jeweils mit den Initialen der fünfzehn bereits existienten Generationen der Cosmopolitain Chicken gestempelt, so dass jedes einzelne von ihnen eine Generation "mechelse chicken" präsentiert. Keines der Küken wird schlüpfen, sondern die Eier werden vor Ort konsumiert.

Der Künstler erforscht in seinem Projekt Fragen der genetischen Diversität in seiner Konsequenz zu subjektiver und globaler Identität, Angelegenheiten die jedenfalls weniger das Huhn-, als das Menschsein betreffen: Es handelt sich dabei um Angelegenheiten der Kunst.

Koen Vanmechelen nähert das Problem Züchtung einem breiten menschlichen Bewusstsein an.  Er überlässt es nicht den dafür zuständigen Experten wie Genforschern, Hühnerzüchtern oder Marktforschern, sondern fordert für das Thema Huhn einen künstlerisch, intuitiven und perzeptiven Zugang. In dem Koen Vanmechelen Hühnerzucht in einen künstlerischen und kulturtheoretischen Kontext überführt, öffnet er das Problem soziopolitischen und philosophischen Fragestellungen. So absurd und komisch, ironisch und wahnwitzig sein Projekt zu sein scheint, so einzigartig und konsequent ist die Strategie dahinter. Dies verdeutlich einmal mehr den zielgerichteten Hang zur Rebellion gegen traditionelle Klassifizierungen, den inzwischen immer mehr Künstler teilen, die zwischen Kunst und Architektur oder Kunst und Wissenschaft oszillieren. Insofern geht die Rebellion über die Grenzen des Hühnerstalls hinaus und richtet sich gegen den traditionellen Kunstbegriff, der bei solchen Grenzüberschreitungen zugleich in Frage gestellt und erweitert wird.

Wien, 8. August 2011